Inhaltsverzeichnis
1 Text/Schild
2 Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Stühlinger Juden
3 Wo befand sich der jüdische Friedhof? Vier Hinweise
4 Auszug aus dem Satzbrief von 1717
5 Jüdischer Grabstein aus Stühlingen
6 Samuel Pletscher und der jüdische Friedhof von Stühlingen
7 Information zur Verwendung eines jüdischen Grabsteins als Grenzstein
8 Link Artikel Badische Zeitung 20. November 2010
9 DIE JUDEN IN STÜHLINGEN Gustav Häusler
10 Samuel Pletscher, 1838 - 1904 – Heimatforscher, henne und denne
1 Wo befand sich der jüdische Friedhof?
In Stühlingen lebte seit dem ersten Drittel des 16.Jahrhunderts bis zur Ausweisung aller Juden 1743 eine große jüdische Gemeinde. Für das Recht, im Ort zu wohnen, bezahlte sie hohe Geldsummen an den jeweiligen Landesherrn, aber auch an die Stadtgemeinde. In den Schutzbriefen war den ansässigen Juden ausdrücklich eine Begräbnisstätte gestattet worden.
Diese befand sich „jenseits der Wutach“ im Schinderwald, in der Häusler-Chronik bezeichnet als „das Judenbegräbnis obem Schaffhauser Weg“.
Wo sich der Friedhof genau befand, ist heute ungeklärt. Verschiedene Quellen verorten ihn in der Nähe des Wasenplatzes.
Als einziges sichtbares Zeichen der Begräbnisstätte befindet sich im „Judenwinkel“ drüben im Städtle ein jüdischer Grabstein, der im Keller eines nahen Hauses gefunden und unter der Stadtlinde platziert wurde. Weitere Grabsteine wurden vermutlich als Baumaterialien verwendet.
2 Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Stühlinger Juden
In Stühlingen bestand seit dem ersten Drittel des 16.Jahrhunderts bis zur Ausweisung aller Juden eine große jüdische Gemeinde. Für das Recht, im Ort zu wohnen, bezahlte sie hohe Geldsummen an den jeweiligen Landesherrn, aber auch an die Stadtgemeinde. Im Austausch erhielten die jüdischen Familien einen Schutz- oder Satzbrief, der ihren Verbleib in der Stadt sicherte und ihre Rechte, aber auch Pflichten auflistete. Sie wohnten in erster Linie in der Judengasse im Städtle (heute Gerberstraße), vereinzelt auch unten im Dorf.
In der Gerberstraße lagen auch die Synagoge, das Haus des Rabbiners und ein Judenbad. Der Volksmund nennt diese Ecke heute noch „Judenwinkel“. 1615 besaßen hier jüdische Familien sechs Häuser. Als berühmtester Abkömmling der Stühlinger Juden wird Nathanael Weil (1687-1769) genannt, der später Oberrabbiner der badischen Juden wurde. Auch der Komponist Kurt Weill hat Stühlinger Wurzeln.
1743 mussten die Juden Stühlingen verlassen, da Fürst Joseph Wilhelm Ernst zu Fürstenberg ihren Schutzbrief nicht mehr verlängerte. Er beendete damit ein Privileg, das erstmals die Grafen zu Lupfen gewährt hatten. In regelmäßigen Abständen war der Schutzbrief zunächst von den Pappenheimern, später von den Fürstenbergern erneuert worden.
So waren die Stühlinger Juden gezwungen, zum größeren Teil in die Schweiz (Lengnau, Endingen) oder andere süddeutsche Gemeinden (Hegau) umzusiedeln.
Im 19.Jahrhundert ließen sich wieder vereinzelt Juden in Stühlingen nieder. Der letzte von ihnen war Levi Bloch, der bis 1917 von 1893 im Besitz der Schür am Stadtgraben war.
Text: | Jutta Binner-Schwarz |
Quellen: | Fürstlich Fürstenbergisches Archiv |
Gustav Häusler, Stühlingen – Vergangenheit und Zukunft | |
Archiv des Schwarzwaldvereins |
3 Wo befand sich der jüdische Friedhof?
Vier Hinweise
1 Der jüdische Friedhof wird in Gustav Häuslers Buch „Stühlingen – Vergangenheit
und Gegenwart“ im Kapitel „Flurnamen“ als „das Judenbegräbnis obem
Schaffhauser Weg“ beschrieben.
2 In der „Heimatgeschichte der badischen Juden“ von 1927 erklärte Berthold
Rosenthal zum Thema: „Aus einer Anfrage des Grafen Konrad an die
Sequesteramtleute ging hervor, daß um 1600 mehrere jüdische Familien in
Stühlingen saßen, die bereits einen eigenen Friedhof hatten.“ In der zugehörigen
Fußnote stellt er fest: „Trotz mehrfacher Bemühungen wollte es nicht gelingen,
genaue Angaben über die Lage dieses Friedhofes zu erhalten. Seine Spuren sind
völlig verwischt. Mutmaßlich hat er sich jenseits der Wutach an einem Waldhange
befunden. Dort ist ein ebener Platz, dessen Anlage wohl ähnlichen Zwecken
gedient haben mochte. Später aber diente diese Stelle den Zwecken des
Wasenmeisters‘ “.
3 Dies entspräche auch den Vorstellungen des in Kanada lebenden Ralph Bloch,
der die Hohenlupfenstadt im Zuge der Recherchen für sein Buch „Die Juden von
Stühlingen – eine ländliche Gemeinde im frühneuzeitlichen Deutschland“ besuchte.
Im Gespräch bestätigte er, dass es durchaus möglich sei, dass der jüdische
Friedhof in der Nähe des Wasenplatzes zu finden war. Dessen Lage ist bekannt
und somit wäre die Örtlichkeit stark eingegrenzt.
4 Der Schleitheimer Anwalt und Heimatforscher Samuel Pletscher (1838 – 1904)
befasste sich ebenfalls mit der Thematik, allerdings ohne den Wasenplatz zu
nennen. Er schrieb um 1880 hierzu: „Jenseits der Wutach, am Bergabhang, der
zum Westerholz ansteigt, findet sich endlich die wohlbekannte Stelle, wo sich
ehemals der jüdische Begräbnisplatz befand, jetzt freilich als solcher nicht mehr
kenntlich, da alle ehemals daselbst befindlichen Grab- und Gedächtnissteine
weggenommen und zerstört worden sind.“
Text: | Jutta Binner-Schwarz |
Quellen: | Berthold Rosenthal, Heimatgeschichte der badischen Juden |
Gustav Häusler, Stühlingen – Vergangenheit und Zukunft | |
Samuel Pletscher, Ortsphysiognomie Stühlingen, Schwarzwälder Zeitung |
4 Aus dem Satzbrief von 1717
In den Juden-Satzbriefen war den in Stühlingen ansässigen Juden schon früh ausdrücklich eine Begräbnisstätte gestattet worden. Auch im Schutzbrief von 1717 stand:
„In der zu Stühlingen außerhalb der Stadt bishero ingehabten Synagog oder Schul ihre gewohnliche Ceremonia und Exercitia zu üben, nicht weniger sich der jenseits der Wutach gelegenen und von Alters hero inghabten Seputor (Sepultur, Sepulcrum: Begräbnisstätte) zu gebrauchen.“
Ebenfalls im Satzbrief steht zu lesen, die Juden sollen „ihre Synagog oder Schul in gutem Bau und Ehren halten und ihr Begräbniß auch mit einem Zaun ordentlich und also umgeben, daß das Vieh nicht dazu kommen und dort waiden möge.“
Quelle: Fürstlich Fürstenbergisches Archiv
5 Jüdischer Grabstein aus Stühlingen
In diesem Zusammenhang ist auch das einzige sichtbare Zeichen des jüdischen Friedhofes zu sehen. Dabei handelt es sich um einen Grabstein mit hebräischen Schriftzeichen, den eine aufmerksame Stühlingerin in einem Keller der Gerberstraße gefundenen hat. Dieser wurde dankenswerter Weise vor Jahren im Judenwinkel unter der Stadtlinde platziert.
Nicht der Wahrheit entspricht die vor einigen Jahren in Umlauf gebrachte Behauptung, die steile Treppe vom Städtle zum Schloss hinauf sei mit jüdischen Grabsteinen errichtet worden. Den Weg zum Pavillon und weiter zum Schloss, der auch heute noch genutzt wird, ließ 1893 der Schwarzwaldverein erneuern. Die Rechnungen für Material und Ausführung befinden sich im Vereinsarchiv.
Text: | Jutta Binner-Schwarz |
Quelle: | Archiv Schwarzwaldverein |
6 Samuel Pletscher und der jüdische Friedhof von Stühlingen
Der Schleitheimer Anwalt und Heimatforscher Samuel Pletscher (1838 – 1904) befasste sich ebenfalls mit der Thematik. Er schrieb um 1880: „Jenseits der Wutach, am Bergabhang, der zum Westerholz ansteigt, findet sich endlich die wohlbekannte Stelle, wo sich ehemals der jüdische Begräbnisplatz befand, jetzt freilich als solcher nicht mehr kenntlich, da alle ehemals daselbst befindlichen Grab- und Gedächtnissteine weggenommen und zerstört worden sind.“
Unter anderem verfasste Pletscher 1880/81 für die in Bonndorf herausgegebene „Schwarzwälder Zeitung“ eine Artikelserie über die „Ortsphysiognomie von Stühlingen“. Auch hier ging er auf den jüdischen Friedhof ein: „Die jüdische Begräbnisstätte lag jenseits der Wutach und enthielt zahlreiche steinerne Denkmäler, von denen später einige zu höchst profanen Zwecken verwendet worden sind, nachdem die Judenschaft im Orte nicht mehr geduldet wurde. Für diesen Begräbnisplatz mußte die Judengemeinde eine besondere Gebühr entrichten, die nicht gering genannt werden kann.“
Unter der Überschrift „Beiträge zur Geschichte der Judenschaft in Stühlingen“ führte er aus: „Doch findet der aufmerksame Beobachter im Dorfe Stühlingen, auf dem Platze, der sich vor dem Hause des Herrn Müller, Kaufmann, befindet, noch einen mächtigen jüdischen Grabstein vor, der wohl behauen noch eine deutlich und gut erhaltene Inschrift zeigt. Es ist eine starke und schöne Kalksteinplatte, die ihrer ansehnlichen Größe halber als Dohlendeckel benutzt worden ist. Vielleicht sind auch die daneben liegenden Steinplatten ebenfalls Grabsteine, deren Inschriften statt nach oben nach unten hin zu liegen kamen. Solcher jüdischer Grabdenkmäler sollen in Stühlingen noch einige vorhanden sein, die man zu profanen Zwecken verwendete, z. B. in Kellern, sodann als Grabendeckel und Brücken in Wiesen u.s.w.“
Quellen: Diverse Artikel (s.o) von Samuel Pletscher
7 Information zur Verwendung eines jüdischen Grabsteins als Grenzstein
2019 entdeckte Willi Bächtold, Präsident Verein für Heimatkunde und Gemeindearchivar von Schleitheim, im Grenzbegehungs-Protokoll von 1724 zwischen Schleitheim und Stühlingen bei der Beschreibung der Grenzsteine ein interessantes Detail.
Die Beschreibung des ersten Steins, der die Banngrenze von Weizen, Stühlingen und Schleitheim trennt, lautet:
1.
Erstlich ist der anfang gemachet worden
bey dem Eckstein. So Drey Pan scheidet
Namlich Stülingen, Weitssen und Schleitheim.
Steth der Mahle herwerts Der Wuotach
an der Weitssemer Gemeindt Wiss unnd Stül-
linger Eigenen Wisen.ein alter gehauw-
nen Stein. und ist die Jahr Zahl 1665
1826
Einharter gehauener Stein, ab dem
ehemaligen Juden Kirchhoff in Stühl.
Bächtold vermutet, dass 1826 ein neuer Stein gesetzt wurde, der aus einem jüdischen Grabstein hergestellt wurde. Der entsprechende Nachtrag in der Akte war in einer anderen Schrift ausgeführt.
Text: | Jutta Binner-Schwarz |
Quellen: | Gemeindearchiv Schleitheim |
8 Link Artikel Badische Zeitung 20. November 2010
https://www.badische-zeitung.de/stuehlingen/hohe-zahlungen-fuer-schutzbriefe--37939916.htmlA
9 DIE JUDEN IN STüHLINGEN Gustav Häusler
Mit den Römern wanderten auch die Juden in Germanien ein. Nach der
Verdrängung der Römer aus dem nördlichen Deutschland ließen sie sich im
Zehntland, besonders an den Ufern des Rheins, nieder. In der ersten Zeit
war ihre Lage günstig; sie gestaltete sich allmählich aber recht unerquicklich.
üble Judenverfolgungen setzten vor allem in den ersten Jahren der Kreuzzüge
ein, wo aus religiöser Begeisterung und wilder Raserei Tausende von
Juden hingeschlachtet wurden. Gegen dieses unchristliche Treiben trat Bernhard
von Clairvaux, der ja auch in unserer Gegend predigte, energisch auf.
Im 15. und 16. Jahrhundert war die Zahl der Juden im nördlichen Teil
Badens geringer, im südlichen Baden, am Oberrhein, in den Seitentälern des
Schwarzwaldes, auf der Baar und in anderen reichsunmittelbaren Gebieten
größer.
Eine alte Judengemeinde befand sich auch in Stühlingen. Im ersten Drittel
des 16. Jahrhunderts wurde in Frankfurt eine Ehe getrennt, bei welcher der
Geschiedene sich Abraham den Jizchak ben Nesanel aus Stühlingen nannte.
Die Grafen von Lupfen hielten die Juden zwar aus ihrer Herrschaft Hewen
fern, erlaubten ihnen aber die Niederlassung in der Landgrafschaft Stühlingen.
Ohne Zweifel sind Juden zur Zeit des Bauernkrieges hier ansässig gewesen.
Da sie den sogenannten Reichsjudenzoll entrichteten, mußten ihnen
die kleinen Herren gestatten, sich in ihren Gebieten anzusiedeln. In einer
Urkunde aus dem Jahr 1589 wird ein "Abraham oder from Jud" als im Dorf
Stühlingen wohnhaft bezeichnet.
Hatten sich ursprünglich die Juden eines Ortes freiwillig in der Nähe ihres
Gotteshauses niedergelassen, so wurden sie nach und nach gezwungen, sich
auf einen bestimmten Stadtteil zu beschränken. So entstand das Judenviertel,
das Ghetto, oder - wie in Stühlingen - die Judengasse. Bis tief ins 18. Jahrhundert
hinein war den Juden sogar verboten, zu gewissen Zeiten ihre Behausung
zu verlassen. In vielen Städten durfte sich in der Karwoche kein Jude
blicken lassen. Mancherorts waren sie an Sonn- und Festtagen während des
Gottesdienstes zum Aufenthalt in ihren Häusern verpflichtet. Noch drückender
für sie war das durch Papst Innozenz III. (1215) eingeführte Judenabzeichen.
Dieser Papst hatte angeordnet: "Damit die Gläubigen schon auf den
ersten Blick Ungläubige zu erkennen vermögen, wird festgesetzt, daß Juden
und Sarazenen beiderlei Geschlechts in allen christlichen Ländern jederzeit
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durch Beschaffenheit des Gewandes sich von allen Leuten unterscheiden sollen."
Dieses Judenzeichen war in den einzelnen Gegenden verschieden geformt
und gefärbt. Die Verkehrsverhältnisse brachten es mit sich, daß fast jeder Jude reiten
konnte. Auch jüdische Frauen bestiegen nicht selten das Pferd. In einer im
Jahr 1599 gegen den Juden Mayer aus Stühlingen gerichteten Klage wird
diesem vorgehalten, "seiner Kleidung und Habit nach, mit gefeuerter Büchs
am Sattelbogen, brunschwigischem Hut, antragenden ungarischen Stiebeln"
hätte er nicht wie ein Jude ausgesehen, sondern für einen vornehmen Kriegsmann
gehalten werden können. Das war zur Zeit des Erbmarschalls Konrad
von Pappenheim, der wiederholt scharf gegen die Juden vorgegangen war.
Unter seinem Sohn Maximilian scheinen die Juden in günstigen Verhältnissen
gelebt zu haben. Er stellte ihnen sogar am 12. August 1615 ein Privileg (Satz- oder
Schutzbrief) aus. Dieses lautet:
"Maximilian Erbmarschall zu Pappenheim, Landgraf zu Stühlingen, gestattet
PhaIen, Meyerle, Lema, Sandelen, Jadde, HirtzIe, Costen und Jerkuffen,
mit ihren jetzigen und künftigen Weibern, Kindern, Knechten und
Mägden und all ihrem Hausgesinde in Stadt und Dorf Stühlingen und ihren
allbereits habenden sechs Häusern gleich seinen anderen Bürgern, Untertanen
und Hintersassen (doch von Fron, Wachten, Steuern, Reisen, Abzug, auch
allen anderen bürgerlichen Diensten und Beschwerden befreit) von jetzt an
vierzehn Jahre lang unter der Landgrafschaft Stühlingen Schutz und Schirm
zu wohnen. Sie genießen alle Freiheiten, die sie und andere Juden von Kaisern
und Königen erlangt haben oder noch erlangen werden, wofern diese
gegen der Stadt und Landgrafschaft Stühlingen wohlhergebrachte Privilegien.
Statuten, Rechte und Gebräuche nicht streiten. Sie dürfen mit Einheimischen
und Fremden allerlei Handel treiben, außer mit Salz und Eisen und ohne
einen öffentlichen Laden zu haben, und mit Vorwissen eines Amtsmannes den
Stühlingschen Untertanen ohne den jüdischen Wucher, den Ausländern aber
mit oder ohne Wucher leihen, Streitigkeiten, die sie untereinander oder mit
Stühlinger Untertanen haben, sind vor den Stühlinger Gerichten auszutragen
und nicht vor ausländische, rabbinische oder andere Gerichte zu ziehen, wie
denn Landrichter, Schreiber und Landboten Anweisung erhalten werden, den
Juden, doch gegen Erstattung der gehörigen Besoldung und auf ihre Kosten,
gleich den andern Untertanen Recht widerfahren zu lassen. Wenn sich wegen
argwöhnischer und gestohlener (verpfändeter) Sachen Späne zutragen, haben
die Juden solches dem Landgrafen zur Erkenntnis anheimzustellen, und was
für gestohlen erachtet wird, dem rechtmäßigen Ansprecher, falls es noch beihanden
ist, unentgeltlich zurückzugeben, im andern Fall demselben das dar-
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auf geliehene Geld zu erstatten. Wissentliche und rechtmäßige Unterpfänder
haben aber die Juden niemanden vor Entrichtung der darauf geliehenen
Summe Geldes und der nach jüdischem Gebrauch gegen Fremde verfallenen
Zinsen hinaus zu geben. Sie dürfen bei ihrer jüdischen Opinion, ihren Gesatz
und Ordnungen (ausgenommen jedoch den rabbinischen Gerichtszwang) mit
Metzgen, Verkaufen des Fleisches nach jüdischem Gebrauch, auch ihrer bis
jetzt innegehabten Begräbnis gänzlich Verbleiben und mögen ihre Fest-,
Feiertage, Laubreisin nach jüdischer Gewohnheit mit und unter ihnen selbst
oder fremden Juden begehen, doch sollen sie den von auswärts zu ihnen einkommenden Juden und Jüdinnen nicht allzu lange Unterschlupf und Aufenthalt
geben. Den Juden ist weiter gestattet, daß ihre verheirateten Kinder
bei ihnen in ihren Häusern wohnen oder sich mit landgräflichem Vorwissen
zu Stühlingen haushäblich einlassen und als sie selbst handlen, schalten und
walten mögen; weitere Häuser dürfen sie aber ohne landgräfliche Einwilligung
in Stadt und Dorf Stühlingen nicht käuflich an sich bringen. Das Kaufhaus
können sie gleich den andern landgräflichen Untertanen und Hintersassen
besuchen und dort kaufen und verkaufen. Haben sie vor dem kaiserlichen
Kammerhof und anderen Gerichten etwas zu schaffen, so wird ihnen
der Landgraf auf ihr Ersuchen und ihre Kosten mit Schriften und andern
tauglichen Mitteln gleich den übrigen Hintersassen behülflich sein."
Außer den namentlich Genannten duldete der Landgraf in seiner Landgrafschaft
keine weiteren Juden. Die Privilegierten aber waren verpflichtet,
"sich an ihren Sabbathen still, züchtig und ohne Tumult zu verhalten und an
den Sonntagen die landgräflichen Untertanen mit Eintreibung der Schulden
unangefochten zu lassen". Außerdem hatten sie ihre Gasse und ihre Häuser
und deren Umgebung zu säubern. Das Waschen von unreinem Geschirr.
Fleisch und Kleidern an den öffentlichen Brunnen war ihnen verboten. Bei
hoher Buße war ihnen auch untersagt, schadhaftes Vieh oder ein von einem
der vier Hauptmängel befallenes Roß einzuhandeln oder auf die Weide zu
treiben. Die Juden und die Untertanen durften sich gegenseitig im Handeln
nicht hindern.
Für die ihnen gewährte „Begnadigung" gaben die sechs Häuser jährlich
auf Ostern dem Rentamt zehn Gulden Satzgeld und für "Reichssteuer, Zoll
und andere Beschwerden" sieben Gulden, auch zur "Erhaltung eines Pferdes"
jährlich fünf Malter Hafer. Der Stadt Stühlingen mußte jede der betreffenden
Haushaltungen "nebst der Darleihung eines Pferdes auf fünf Tage"
jährlich drei Gulden entrichten. Als Gegenleistung durften die jüdischen
Hausbesitzer wie von altersher je vier Stück Vieh auf die allgemeine Weide
treiben.
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Im Dreißigjährigen Krieg sollen sich die Juden im Ruckwald vor den
anrückenden Truppen versteckt gehalten haben. Die Bezeichnung "Judenlöcher"
erinnert noch daran. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts bildeten die
Stühlinger Juden eine der bekanntesten und bedeutendsten Judengemeinden
in Südbaden. Ein für zwanzig Jahre geltender Satzbrief von 1671, der in der
Hauptsache jenem von 1615 entspricht, erwähnt dreizehn Haushaltungen
und einen Schulklepper oder Vorsinger. Da jeder Hausvater ein verheiratetes
Kind bei sich wohnen lassen durfte, waren also 26 Familien zugelassen.
Im Sinne dieses Schutzbriefes trat das Amt Stühlingen auch für die jüdischen
Untertanen in einer Auseinandersetzung mit der Stadt Schaffhausen ein. Diese
hatte im Jahr 1676 für die Juden einen Leibzoll eingeführt. Hatte es schon
1658 gemeinschaftlich mit Nellenburg und Sulz gegen die Judenausweisungen
von Schaffhausen Einspruch erhoben, so sicherte sich das Amt den Erfolg
seiner Einsprache, indem es drohte, wenn Schaffhausen unnachgiebig bliebe,
von dessen Bürgern bei Betreten der Landgrafschaft ebenfalls einen Leibzoll
zu fordern.
Aufschlußreich ist folgende Bemerkung im Satzbrief von 1671: "Da in
früheren Jahren die Wahrnehmung gemacht wurde, daß vielmals allerhand
vagierende Juden sich bei unseren Schutz- und Schirmverwandten eingeschlichen
haben, dadurch sie selbst belästigt, als auch die Bürger geärgert und in
große Gefahr gesetzt wurden, daß durch dieses widerliche Gesindel ansteckende
Seuchen in die Stadt eingebracht werden könnten, so sollen die einheimischen
Juden selbst gute Vorsorge treffen und fremd ankommende Bettler
nicht länger als eine Nacht oder über Sabbath bis zum folgenden Sonntagmorgen
beherbergen. Auch dürfen die Juden, wie bisher geschehen, zum Nachteil
des Umgeldes keinen Weinkauf in ihren Häusern halten oder mit
dem Trunk Leute in ihre Häuser einziehen, das heißt locken, und durch
Zutrinken vorteilhafte Händel mit ihnen abschließen, die hiermit pro Null
erklärt werden. Nachdem es sich mehrmals ergeben, daß die Juden unter
sich selbst Zank anstiften und die Amtleute damit belästigen, wird zugelassen,
daß sie fernerhin ihre Rabbiner als Schiedsrichter hierfür anrufen. Malefizsachen,
und was wider die Judenordnung oder die göttlichen mosaischen
Gesetze ist, gehören vor das Amt, sowie auch Einsprachen gegen das Urteil
des Rabbiners."
Für die Schutzgewährung war eine sofortige Rekognition (Anerkennungsgebühr)
von fünfhundert Gulden in bar zu entrichten; an liquidierten Schulden
des Landgrafen mußten fünfhundert Gulden übernommen werden. Das
jährliche Satzgeld betrug achtzehn Gulden je Familie und eine Gans beziehungsweise einen Gulden. "so zu unserer Wahl steht"; ferner mußten die
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Juden im Bedürfnisfall für die Herrschaft oder deren Beamte Pferde gegen
"notdürftige" Fütterung ohne Entgelt zur Verfügung stellen. Der Stadt Stühlingen
waren „zu deren Ergötzlichkeit" (wahrscheinlich zur Finanzierung
kleiner Festlichkeiten) von jeder jüdischen Haushaltung jährlich mindestens
drei Gulden, für die Weidebenutzung und ihre schuldigen "onera personalia"
(Personalausgaben) je drei Gulden zu entrichten. Auch durfte die Stadt alljährlich
fünf Tage lang die Überlassung eines Pferdes zur Bebauung der Gemeindeäcker
unentgeltlich von der Judenschaft fordern.
Der im Jahr 1692 abgelaufene "Satz“ wurde 1696 für weitere zwanzig
Jahre erneuert. Er galt für dreizehn Familien in Stühlingen und fünf in
umliegenden Dörfern. Gegenüber den vorherigen Satzbedingungen wurden
einige Neuerungen eingefügt. So wurde die Hälfte der bisher vom Rabbiner
zu verhängenden Strafen dem Rentamt überwiesen. Eigene Häuser durften
nur noch mit Erlaubnis erworben oder gebaut werden. Ersteigerte Güter
waren innerhalb von zwölf Wochen an Nichtjuden zu veräußern. An der dem
Land auferlegten außerordentlichen Kriegskontribution hatten sie sich zu
beteiligen. Von Einquartierungen wurden sie "derweilen die Juden von
Soldaten allerhand Ungemach leiden müssen" gegen eine Geldentschädigung
befreit. Auf die Überlassung von Pferden an die Herrschaft, die Unzuträglichkeiten
hervorgerufen hatte, wurde verzichtet.
Außer dem bisherigen jährlichen Satzgeld war für die Erneuerung des
Vertrages eine einmalige Rekognition von tausendfünfhundert Gulden in bar
zu leisten, sowie eine Schuld des Grafen von fünfhundert Gulden und hundertfünfzig
Gulden Zins zu übernehmen.
Nach Ablauf der zwanzigjährigen Satzfrist im Jahre 1716 wollte die für
den minderjährigen Fürsten Joseph Wilhelm Ernst eingesetzte Vormundschaftsherrschaft die Juden nicht länger in der Landgrafschaft dulden. Von
der Stadt Stühlingen waren Klagen eingelaufen, die Juden schickten ungesundes
Vieh auf die Weide, sie schädigten durch ihren Handel die eingesessenen
Handwerker und Krämer und störten das religiöse Leben. Deshalb
erbat die Bürgerschaft die Ausweisung der israelitischen Einwohner. Durch
die Vermittlung des Abtes von St. Blasien, an den sich einige Stühlinger gewandt
hatten, wurde die Vertreibung jedoch verhindert. Der Abt wies die
Vormundschaftsherrschaft darauf hin, daß der überstürzte Einzug der Schuldbeträge
die Untertanen in große Unannehmlichkeiten brächte, eine kurzfristige Ausweisung daher unvorteilhaft erscheine.
Da die Juden die Schuldforderungen, die in Einzelfällen die Höhe von
30000 Gulden erreichten, bei der herrschenden Geldknappheit und der armseligen
Zeit nicht ohne Härte hätten eintreiben können, wurde, um dies zu
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vermeiden, der Schutzbrief im Jahr 1717 bis zur Volljährigkeitserklärung des
Regenten für dreizehn Familien erneuert.
In ihm wurde den Juden unter anderem ausdrücklich gestattet: ~In der
zu Stühlingen außerhalb der Stadt bishero in gehabten Synagog oder Schul
ihre gewöhnliche Ceremonia und Exercitia zu üben, nicht weniger sich der
jenseits der Wutach gelegenen und von Alters hero ingehabten Seputor (sollte
wahrscheinlich heißen Sepultor, also ihre Begräbnisstätte) zu gebrauchen."
Vom "Schwarzen Adler" zog sich die Judengasse schräg gegen den Judenwinkel und dann als Hintere Gasse zum Marktplatz hinauf. Die Judengasse
bot dazumal keinen angenehmen Anblick. Durch ihre bedrückende Enge zog
der ganzen Länge nach ein offener, ungemauerter Graben, der die Abwässer
verschiedenster Art und Herkunft abführte. Er ging durch den Hausgang
Nr. 2 (neben dem "Schwarzen Adler"), durchbrach die Stadtmauer und mündete dort ins Freie. Im Haus Nr. 7 (Haus Frau Margareta Oberist) befand
sich ein Durchgang, der zur Judenschule oder Synagoge führte, welche außerhalb der Stadtmauer, an dieselbe angelehnt, am Abhang gegen das Tal hinab
stand. (In späteren Verkäufen heißt es von diesem Gebäude: "Haus mit der
angebauten Sigge".) In diesem Haus wohnte der Rabbiner. Am Pfosten beim
Eingang des Hauses waren noch Ende des letzten Jahrhunderts die Mesussos
angebracht. Es war das ein mit Abschnitten des mosaischen Gesetzes beschriebenes Pergamentblatt, das, in einer Kapsel am rechten Türpfosten jüdischer Häuser befestigt, von den Juden beim Eintreten und Verlassen des Hauses ehrfurchtsvoll berührt werden mußte.
Im Stadtgraben an der Westseite des Städtchens befand sich ein Judenbad.
Das rituelle Frauenbad dagegen war vor 1724 in einem Haus im Dorf untergebracht.
Als 1723 der junge Fürst Joseph Wilhelm Ernst die Regierung übernahm,
wollte er den Judenschutz in Stühlingen und Horheim nicht erneuern. Zur
Ordnung ihrer Angelegenheiten und zur Auswanderung war der Judenschaft
eine Frist von drei Monaten eingeräumt worden. Die Bitte um Widerruf des
Ausweisungsdekrets gegen Zahlung des gesetzten Tributs hatte den Erfolg,
daß gegen eine Rekognition von viertausend Gulden auf weitere zwanzig
Jahre nochmals ein Satzbrief für dreizehn Familien in Stühlingen und je eine
in Horheim und Donaueschingen bewilligt wurde.
Die Handelsbeziehungen der Stühlinger Juden erstreckten sich nicht allein
auf die Landgrafschaft und die übrigen fürstenbergischen Gebiete, sondern
auch auf die benachbarten Schweizer Kantone, insbesondere auf Schaffhausen.
Ihr Handel bezog sich aber auch auf die Landgrafschaft Schwarzenberg, auf
Vorderösterreich und die Abtei St. Blasien. Zwischen letzterer und der stüh-
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lingischen Judenschaft war 1712 eine Vereinbarung getroffen worden, wonach
den Juden gegen einen jährlichen Betrag von hundert Gulden freier Handel
bis zum Widerruf durch den jeweiligen Abt im Gebiet des Gotteshauses (der
Abtei) gestattet war.
Zu jener Zeit wohnte in Stühlingen der Jude Moses Meir (Maharam)
Weil. Er hatte sich 1672 in Stühlingen niedergelassen. Dieser ebenso gelehrte
wie reiche und wohltätige Mann soll eine neue Synagoge auf eigene Kosten
erstellt haben. Sie war an das Rabbinerhaus angebaut. (Nach der Vertreibung
diente sie als "Judenscheuer" landwirtschaftlichen Zwecken.) Die Einrichtung
dieses Gotteshauses, das wohl entsprechend der Größe der Judengemeinde, des
Reichtums und Opfersinns einzelner Mitglieder an Torarollen, Schmuck, Vorhängen
und sonstigem Zubehör üppig ausgestattet gewesen sein muß, wurde
wenige Jahrzehnte später in alle Winde verstreut. Bei den Akten in Donaueschingen
befindet sich nur noch die Abschrift des Gebetes für den Landesfürsten
Joseph Wilhelm Ernst, das einst auf hölzerner Tafel hebräisch und in
deutscher Übersetzung angebracht war.
Wie alle größeren Judengemeinden wurde auch Stühlingen, an einer verkehrsreichen, von Schwaben in die Schweiz führenden Straße gelegen, häufig
von Betteljuden aufgesucht. So hielten sich über das Schowuosfest 1737 (Erinnerungstag an die Gesetzgebung am Berge Sinai) über dreißig fremde Juden
in Stühlingen auf. Sie kamen in der Hauptsache aus Frankfurt und wollten
zur Messe nach Zurzach.
Im dritten und vierten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts brachte der Übertritt
einiger Stühlinger Juden zum Christentum große Erregung in die Judengemeinde.
Im Jahre 1720 kam die in Donaueschingen bedienstete Sara Guggenheim
aus Stühlingen mit zwei zu Philippsburg getauften Juden zum Pfarrer
in Stühlingen und bat um Unterweisung im christlichen Glauben und
Vorbereitung zur Taufe. "Um dieses heilsame Seelenwerk zu fördern und
den in solchen Fällen zu erwartenden Intrigues der Judenschaft zu begegnen",
wurde die Jüdin in das Haus eines vertrauenswürdigen Bürgers gebracht. Die
Taufe, bei der sich der Regentschaftsverweser und die verwitwete Landgräfin
als Paten vertreten ließen, und das damit verbundene Festmahl fanden auf
Kosten der fürstlichen Herrschaft statt. Die neubekehrte Karolina Antonia
Hofferin heiratete später einen Gerber in Engen und führte einen langwierigen
Prozeß mit ihren Brüdern Josef und Samuel Guggenheim in Stühlingen
und Gailingen wegen Herausgabe des ihr drei Jahre vor ihrem Übertritt
zugesicherten Heiratsgutes (Erbanteil).
1733 sprach ein Judenknabe in Horheim, der bei einem Bauern im Dienst
stand, den Wunsch aus, sich taufen zu lassen, was auch geschah. Die Juden-
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schaft von Stühlingen wurde bei Androhung hoher Strafe gewarnt, dem
Knaben etwas in den Weg zu legen oder ihn vom neuen Glauben abwendig
zu machen. Auf Kosten des Fürsten durfte der Junge das Schuhmacherhandwerk
erlernen.
Einige Wochen später beantragte auch sein jüngerer Bruder, erst acht
Jahre alt, die Taufe. In diesem Fall hatte man Bedenken, ob der Knabe
schon getauft werden könne, oder ob man noch einige Jahre zuwarten, ihn
aber so lange der Gewalt der Eltern entziehen solle. Als er dann von Stühlingen
nach Donaueschingen gebracht wurde, ritten ihm Vater und Mutter
nach. Sie hofften, ihn zur Umkehr bewegen zu können. Alle Bemühungen
waren jedoch vergebens; der Knabe wurde noch im gleichen Jahr getauft, obwohl
die päpstliche Anordnung (Papst Martin V. 1421) noch gültig war,
nach der Juden unter zwölf Jahren nicht in die Kirche aufgenommen werden
sollten. Der Obervogt von Stühlingen war Taufpate und "die gnädigste
Herrschaft hat das Bübel das Barbiergewerbe lehren lassen". Um die gleiche
Zeit wurden noch zwei Judenmädchen katholisch, das eine aus Stühlingen,
das andere aus Donaueschingen.
Im allgemeinen scheint unter der stühlingischen Judenschaft ein gutes
Einvernehmen bestanden zu haben, wenngleich auch von einigen ernsten
Streitfällen berichtet wird.
Im Spätjahr 1738 machten sich Anzeichen bemerkbar, daß Fürst Joseph
Wilhelm Ernst nicht mehr gesonnen sei, den Schutzbrief zu erneuern. Nach
mündlicher Überlieferung soll der Fürst aus Ärger über einen mit einem
Stühlinger Juden abgeschlossenen Pferdehandel die Ausweisung innerhalb
Tagesfrist befohlen haben. Diese Darstellung entspricht, namentlich was die
Frist betrifft, nicht den geschichtlichen Tatsachen, wiewohl die Entwicklung
auf eine Ausweisung der Juden hinauslief. Ein erstes Symptom hierfür war
eine Verordnung aus dem Jahre 1739, die den Untertanen verbot, in Zukunft
Schulden bei den Juden zu machen. Zu gleicher Zeit legte der stühlingische
Obervogt der Regierung eine Denkschrift vor über Höhe und Art der Rückzahlung
der jüdischen Forderungen. Die Juden selbst erhoben verschiedene
Einwände gegen die angeordneten Handelsbeschränkungen und die Art der
Schuldenrückzahlung und wiesen auf die für sie schmerzlichen Folgen hin.
Vermutlich kam es am 1. April 1743 zu der mehrfach verschobenen Ausweisung.
Ein Teil der Ausgewiesenen zog in die Schweiz, ein Teil nach Gailingen
und Randegg. Einige fanden Aufnahme in Emmendingen, Eichstetten
und Ihringen. Im Juli 1744 wohnten in Stühlingen keine Israeliten mehr.
Immer wieder aber tauchten hausierende und handeltreibende Juden in
der Stadt und der Landgrafschaft auf. Im Jahre 1777 bat zum Beispiel die
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.. ehrsame Weberzunft" in Stühlingen um ein Verbot jeglichen Judenhandels.
Im 19. Jahrhundert ließen sich wieder einige Juden in Stühlingen nieder.
Levi Bloch, der letzte von ihnen, verließ in den zwanziger Jahren unseres
Jahrhunderts das Städtchen.
Der bedeutendste unter den in Stühlingen geborenen Juden war Natanael
Weil. Er kam 1687 zur Welt. Sein Großvater hatte die neue Synagoge
gebaut. Natanael war erst fünf Jahre alt, als sein Vater und dessen Bruder
ermordet wurden. Nach seinem talmudischen Studium wurde er Rabbiner in
Offenbach, später Rabbiner des Schwarzwaldkreises und schließlich Oberrabbiner
der badischen Juden. Seine hohen menschlichen Eigenschaften und
seine Gelehrsamkeit brachten ihm allgemeine Wertschätzung ein. Am 7. Mai
1769 starb er in Rastatt. Er wurde mit großen Feierlichkeiten auf dem jüdischen
Friedhof zu Karlsruhe beigesetzt. In allen Synagogen Europas hielt
man zu seinen Ehren besondere Fast- und Bettage mit Klage-, Dank- und
Bußpredigten ab.
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10 Samuel Pletscher, 1838 - 1904 – Heimatforscher, henne und denne
Von Beruf war Samuel Pletscher Rechtsanwalt. Geschichte und Heimatforschung waren seine grosse Leidenschaft. Wie kaum ein anderer hat Samuel Pletscher beiderseits der Grenze Heimatforschung betrieben. Er befasste er sich mit der Geschichte und den früheren Verhältnissen fast aller Gemeinden im Wutachtal, im badischen Klettgau und darüber hinaus. Pletscher besuchte die Dorfarchive und Private welche alte Dokumente aufbewahrt hatten. Aus seinen Quellenstudien verfasste er zahlreiche Arbeiten. In verschiedenen Zeitungen, auch in der badischen Nachbarschaft, publizierte er seine Forschungen und hielt an vielen Orten historische Vorträge.
Mit den gleichgesinnten Kollegen Ferdinand Hasenfratz von Untereggingen und Alexander Würtenberger von Dettighofen pflegte er regen Kontakt.
Samuel Pletscher verfasste auch eine Reihe von Reiseführern über die nähere und weitere Umgebung.
Zudem war er poetisch tätig. Er schrieb zahlreiche Gedichte, auch in treffender und köstlicher Schlaatemer Mundart, dies schon in jungen Jahren ab 1857.
Seine Manuskripte, Aufzeichnungen, Skizzen und Bilder sind noch recht zahlreich vorhanden und werden im Gemeindearchiv Schleitheim aufbewahrt.
Samuel Pletscher wohnte in der „Gehrenau“ am westlichen Dorfende. Er war zweimal verheiratet und hatte einen Sohn und eine Tochter. Samuel Pletscher starb an einer heimtückischen Krankheit, 66-jährig, am 4. Mai 1904.
Über das Leben und Wirken von Samuel Pletscher hat der Verein für Heimatkunde im Jahr 2004 eine Sonderausstellung veranstaltet.
Text: Verein für Heimatkunde